Der Holocaust mit den Augen eines Malers gesehen.

    ... da erhob sich Kain wider seinen Bruder  Abel und schlug ihn tot.
    Da sprach der Herr zu Kain: ''Wo ist dein Bruder Abel?''
    Er sprach: ''Ich weiß nicht; soll ich meines Bruders Hüter sein?''

    ER aber sprach: ''Was hast du getan?
    Die  Stimmen des Blutes deines Bruders schreien zu mir von der Erde.''

    Genesis / Bereshith  IV,8

 

Auf diesem Gemälde sind keine wirklichen Straßen zu sehen. Hier stehen keine Häuser mehr. Man sieht nur einige Ruinen und Mauerreste, beschriftet mit den Namen von Straßen, die es früher gegeben hat.
Das polnische Wort ''ulica" (gesprochen ''ulitza") bedeutet ''Straße". Überall in Warschau, auch im jüdischen Viertel, standen hohe Häuser mit großen Balkonen. Auf den Straßen ging es meist sehr lebhaft zu. Die Polen waren stolz auf ihre Hauptstadt Warschau, die eine Million Einwohner hatte. Ein Drittel davon waren Juden, die hier seit vielen Jahrhunderten ansässig waren.

 

Israel Bernbaum:
Ich bin meines Bruders Hüter

My Brother's Keeper
Deutsch v. Alexandra Baumrucker

1995
Deutscher
Jugendliteratur Preis
Jugendsachbuch

Nach der Besetzung Warschaus begannen die Nazis ihrem Plan gemäß mit der Ausrottung der Juden. Zuallererst wurde die gesamte jüdische Bevölkerung registriert. Dann wurden auf Anordnung der deutschen Behörden alle Juden in ein Sperrgebiet im jüdischen Viertel verbracht.

1940 erging der Befehl, eine hohe, dicke Mauer um die Straßen zu ziehen, wo die Juden bestimmungsgemäß wohnen mußten. Diese Mauer ist als die ''Warschauer Ghettomauer" bekannt. Die Juden mußten sich von der Mauer einschließen lassen und waren gezwungen, auch noch für die Baukosten aufzukommen. Die Nazis beabsichtigten, die Juden vom Rest der Welt hermetisch abzuriegeln, sie zu demütigen, auszuhungern, und dann jeden einzelnen Mann, jede Frau und jedes Kind in Vernichtungslager zu deportieren. Dieses System wurde in jeder polnischen Stadt angewandt, wo Juden in größerer Zahl lebten.

Nach der Errichtung des Warschauer Ghettos wurden dort, wo vor dem Krieg 80.000 Menschen gelebt hatten, über 500.000 Juden zusammengepfercht.

1942 begannen die Massendeportationen der Ghettobewohner in die Vernichtungslager. Über ein Jahr lang fuhren fast täglich ganze Viehwaggonzüge mit Männern, Frauen und Kindern von einer eigens angelegten Bahnstation nach Treblinka, in das berüchtigte Vernichtungslager.

Im April 1943 beschlossen die Deutschen, das Warschauer Ghetto aufzulösen. Ihrem Plan zufolge sollten die 50.000 dort noch verbliebenen Juden in zwei bis drei Tagen deportiert werden. Die Durchführung des Plans oblag dem deutschen General Jürgen Stroop. Da revoltierten junge Juden gegen die Deutschen. Dieses Ereignis ist als der ''Aufstand im Warschauer Ghetto" in die Geschichte eingegangen.

Die heldenmütigen jüdischen Rebellen kämpften fünf Wochen lang gegen die überlegenen deutschen Einheiten. Zur Vergeltung zerstörte General Stroop das gesamte Ghetto durch Feuer, Dynamit und Gas. Am 16.Mai 1943 meldete er seinem Vorgesetzten, in Warschau gebe es keine jüdischen Wohnbezirke mehr. Genauso knapp vermerkte er es im Tagebuch seiner militärischen Aktionen, allerdings ergänzt mit Fotografien der Warschauer Ruinen und gefangengenommener aufständischer Juden. Dieses Tagebuch ist als ''General Stroops Report" bekannt.

Damit meine Gemälde der historischen Wahrheit entsprechen, habe ich vieles, was darauf zu sehen ist, nach Fotografien gemalt, die von deutschen Soldaten gemacht wurden. Zu vielen Darstellungen haben mich die Aufnahmen in General Stroops Report angeregt. Den Anstoß zu Straßen des Warschauer Ghettos 1943 bildete eine dieser deutschen Fotografien, die mich besonders erschütterte, als ich sie zum erstenmal sah: Sie zeigt Ruinen und Schuttberge dort, wo einst eine Straße gewesen war. Vorn, auf einem Haufen von Mauerresten, sieht man auf einem Bruchstück die Inschrift ''Ulica Karmelicka" (gesprochen ''ulitza karmelitzka").

Diese Straße war mir besonders ans Herz gewachsen. Meine Großeltern hatten dort gewohnt, auch viele meiner zahlreichen Verwandten und Freunde. Sie war eine der vornehmeren Straßen Warschaus gewesen, mit schönen Läden, Kinos, Synagogen und jüdischen Einrichtungen.

Die Fotografie zeigt, was mit der Ulica Karmelicka geschehen ist. Zugleich gibt sie eine Vorstellung davon, was mit der Straße geschehen war, wo ich gewohnt hatte, mit der Ulica Muranowska, und mit den vielen anderen Warschauer Straßen, wo meine Vorfahren jahrhundertelang gelebt hatten.

All die Straßennamen sind verschwunden, zusammen mit den Häusern. Ich habe sie in meine Bilder aufgenommen, damit sie in unserer Erinnerung fortbestehen. Ihre Namen waren mit Leben und Geschichte der jüdischen Bevölkerung Warschaus eng verknüpft. Wenn Menschen, die früher in Warschau gelebt hatten, meine Bilder zum erstenmal sehen, suchen so manche davon nach der Straße, wo sie einst gewohnt haben.

 

 

 

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